Life&Style

Was ich über Frauen gelernt habe, indem ich ihre Nägel gemacht habe

 

Es beginnt immer mit einer Hand. Einer Berührung. Manchmal zögerlich, manchmal voller Vorfreude. Eine Frau setzt sich vor mich, reicht mir ihre Hände – scheinbar für eine kosmetische Behandlung. Doch ich weiß längst: Es ist oft viel mehr als das. Sie bringt nicht nur ihre Nägel mit – sie bringt ihre Welt mit.

Ich halte Hände, bevor ich sie verschönere. Und ich halte damit oft ganze Geschichten. Lebensspuren. Erfahrungen, die man nicht sieht, aber spürt, wenn man genau hinhört – mit den Augen, mit dem Herzen. Ich habe im Laufe der Jahre so viele Frauen erlebt. Jede einzelne anders. Jede einzelne einzigartig. Sie kamen mit ihren Freuden, mit ihren Sorgen, mit ihrem Alltag. Und ich durfte dabei sein. Für eine Stunde. Manchmal für viele Jahre.

Ich habe gelernt, dass ein Wunsch nach dezenten Nude-Tönen nicht einfach nur ein Stil ist – sondern manchmal ein Bedürfnis nach Ruhe, nach Unsichtbarkeit oder vielleicht danach, einfach mal nicht aufzufallen. Ich habe gelernt, dass knalliges Pink, Glitzer oder auffällige Muster ein Aufschrei sein können: „Hier bin ich! Ich will gesehen werden!“ Und ich habe gelernt, dass manchmal beides gleichzeitig in einer Frau existieren kann.

Manche Frauen erzählen viel. Sie öffnen ihr Herz wie ein Tagebuch, das sich endlich wieder schreiben darf. Andere schweigen. Doch auch das Schweigen erzählt – von Müdigkeit, von Erschöpfung oder von einer ganz leisen Form von Stärke. Es ist in Ordnung. Beides darf sein. Mein Studio ist kein Ort der Erwartungen, sondern des Loslassens.

Ich habe mit Frauen gelacht, die gerade eine Trennung hinter sich hatten. Ich habe Tränen gesehen bei Schwangerschaften, die lange ersehnt waren. Ich habe zitternde Hände gehalten nach ärztlichen Diagnosen, und ich habe Nägel gemacht für erste Dates, für Bewerbungsgespräche, für Urlaube, die endlich wieder Freude bringen sollten.

Und während ich diese Hände gehalten habe, habe ich etwas erkannt: Frauen tragen so viel in sich – Verantwortung, Emotionen, Erinnerungen. Sie tragen Familien, sie tragen sich selbst durch die schwersten Zeiten. Oft leise. Oft ohne Applaus. Und manchmal ist ein Besuch bei mir der einzige Moment in der Woche, der nur ihnen gehört.

Ich habe gelernt, dass Frauen unglaublich stark sind – aber diese Stärke oft nicht sehen. Sie sprechen über das, was sie noch besser machen wollen, was sie an sich kritisieren, wo sie nicht genügen. Und ich sehe da nur: Schönheit. Tiefe. Echtheit. Ich wünsche mir manchmal, sie könnten sich selbst durch meine Augen sehen.

Ich habe gelernt, dass Selbstfürsorge nichts Oberflächliches ist. Sie ist ein Statement. Ein Moment, in dem eine Frau sagt: „Ich bin es mir wert.“ Und dieser Moment ist kostbar. Ich sehe, wie sie sich entspannen, wenn sie einfach mal nur sein dürfen. Keine Rolle spielen, keine To-do-Liste abarbeiten, keine Erwartungen erfüllen. Nur sie – ganz da, ganz echt.

Ich habe gelernt, dass hinter jeder Frau ein kleines Universum steckt. Ein innerer Garten aus Erinnerungen, Träumen, Verlusten, Hoffnungen, Sehnsüchten. Und manchmal darf ich für einen kleinen Moment darin spazieren gehen. Mit meinen Händen, mit meiner Aufmerksamkeit, mit meinem Herz.

Ich habe verstanden, dass mein Beruf nicht nur mit Schönheit zu tun hat, sondern mit Menschlichkeit. Mit Mitgefühl. Mit Zuhören. Mit Achtsamkeit. Ich mache keine Nägel. Ich begleite Frauen auf ihrer Reise – oft in kleinen, fast unsichtbaren Schritten.

Und ich habe gelernt, dass es kein Zufall ist, wenn eine Frau sich aufrichtet, lächelt und mit einem kleinen Funkeln in den Augen aus meinem Studio geht. Weil sie nicht nur schöne Nägel bekommen hat – sondern sich selbst wieder ein Stück näher gekommen ist.

Was ich über Frauen gelernt habe? Dass sie zauberhaft sind. Auch wenn sie es selbst manchmal vergessen. Und dass es ein Geschenk ist, sie daran zu erinnern.

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